Religion

Dieser Text beschäftigt sich mit erkenntnistheoretischen Aspekten hinsichtlich Religion, einschließlich derer moralischen Implikationen.
Dieser erste Satz ist geeignet, nahezu jeden Leser abzuschrecken. – Das ist das Gegenteil meiner Absicht. Also neuer Versuch:

Brauchen wir Religion? In einem Gespräch zwischen meinem alten Freund Gottlieb Der Name Gottlieb ist aus Gründen der Diskretion frei erfunden. Ich entschuldige mich für diese Wahl. Ich konnte dem Kalauer nicht widerstehen.

Eine prinzipielle Bemerkung zu den Fußnoten in diesem Text: Es handelt sich lediglich um Erläuterungen, die zum Verständnis des Textes mehr oder weniger entbehrlich sind. Sie können getrost ignoriert werden.
und mir wird diese Frage im Klartext behandelt. Das Thema ist schwierig. Es kommen Philosophen von Sokrates über Kant bis Schmidt-Salomon zu Wort. Trotzdem bemühe ich mich um eine einfache Sprache. Es ist kein Naturgesetz, dass philosophische Texte unverständlich sein müssen.

Es ist einer jener dunklen Dezembertage, nass und kalt. Um so gemütlicher die Atmosphäre in meinem Studierzimmer. Gottlieb und ich sitzen in tiefen Ledersesseln. Zwischen uns ein niedriger Tisch mit mehreren Kerzen und – das sei uns gegönnt – zwei bauchige Rotweingläser. Umrahmt wird das Ensemble von raumhohen übervollen Bücherregalen.

Weißt du, was mich an euch Atheisten besonders stört, Adrian? Ihr seid so selbstherrlich. Ihr meint, immer alles zu wissen. Das ist eine unglaubliche Überheblichkeit, eine Unart, die nicht umsonst als erste der sieben Todsünden Die sieben Todsünden in der christlichen Religion:
 1. Superbia = Hochmut
 2. Avaritia = Geiz
 3. Luxuria = Wollust
 4. Ira = Zorn
 5. Gula = Völlerei
 6. Invidia = Neid
 7. Acedia = Faulheit
gilt.

Du irrst, Gottlieb. Ich weiß, dass ich nichts weiß., um es mit Sokrates Sokrates war ein griechischer Philosoph, 496 - 399 vor unserer Zeitrechnung.
Er lehrte, indem er auf dem Marktplatz von Athen das Gespräch suchte. – In Form von Rede und Gegenrede. Diese Technik der Lehre greife ich hier auf.
zu sagen.

Dieser Ausspruch hat ja auch was: kurz, prägnant und paradox, denn Wissen um Nichtwissen ist natürlich Wissen.

Ja. Ein geflügeltes Wort, oft zitiert, selten wirklich verstanden.

Wie auch immer.
Deine zur Schau getragene Bescheidenheit nehme ich dir nicht ab, Adrian. Immerhin hast du zeitlebens gefragt oder ungefragt dein vermeintlich gesichertes Wissen verbreitet.

Ich lache.

Stimmt schon: Übertrieben bescheiden bin ich wahrhaftig nicht. Warum ich trotzdem behaupte: Ich weiß, dass ich nichts weiß., würde ich dir gern erläutern.

Nur zu, ich bin gespannt.

Es fragt sich doch: Was können wir überhaupt wissen? – diese Frage ist ein Klassiker der Philosophie. Unstreitig ist, dass wir nicht alles wissen.

Genau: Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt. Dieses Zitat stammt aus Shakespeares (1564 - 1616) Tragödie Hamlet (I, 5). Im Original sagt Hamlet: There are more things in heaven and earth, Horatio, then are dreamt of in your philosophy.

Nun ja. – Ob wir überhaupt etwas wissen können, entscheidet sich daran, was wir eigentlich unter wissen verstehen.

Du übertreibst. Es gibt doch Dinge, die so offensichtlich sind, dass wir sie mit Bestimmtheit wissen.

Die Vokabel offensichtlich ist absolut treffend. Sie leitet sich von der Sinnesempfindung Sehen ab. In der Tat: Wir erkennen die Dinge durch unsere Sinne. Um beim Sehsinn zu bleiben: Das menschliche Auge sieht anders als ein Adlerauge und ganz anders als ein Bienenauge.
Das ist für die drei Tierarten auch gut so: Adler und Biene könnten mit dem menschlichen Sehorgan nicht überleben. Die Sinnesorgane liefern Informationen, die für das jeweilige Tier nützlich sind. Der Adler erkennt eine Maus aus drei Kilometern Höhe und Bienen nehmen Blütenfarben wahr, die der Mensch nicht sehen kann.

… was wieder einmal belegt, wie sinnvoll geplant die Schöpfung ist.

Dazu kommen wir noch. Zunächst einmal: Sinnesorgane liefern nützliche Informationen. Nützlich bedeutet in den hier angeführten Beispielen hilfreich zur Nahrungsbeschaffung. Mit unseren Augen ausgestattet würden sowohl Adler als auch Biene in kurzer Zeit verhungern.
Nützlich bedeutet aber nicht zwangsläufig richtig. Sicherlich: Der Adler sieht die Maus richtiger als der Mensch, weil schärfer. Was aber bedeutet richtig hinsichtlich des wahrgenommenen Farbspektrums? Wer erkennt Blüten richtig, so, wie sie tatsächlich sind, losgelöst von irgendwelchen Sinneseindrücken – Blüten an sich?

Blüten an sich – merkwürdige Formulierung. Was soll das sein?

Kant Immanuel Kant, deutscher Philosoph, 1724 - 1804. prägte den Begriff Ding an sich. Er meinte damit: Kein Mensch, kein Wesen kann Dinge an sich wahrnehmen, sondern nur Dinge in ihrer Bedeutung für uns. Das betrifft nicht nur sinnlich wahrnehmbare Dinge, sondern alles überhaupt Denkbare Interessanterweise zählt der klassische Buddhismus Denken als Sinn – auf einer Stufe wie Sehen, Hören, Fühlen … .

Das ist für den Menschen eine intellektuelle Katastrophe. Der Adler ist zufrieden, wenn er die Maus in seinen Krallen hat. Ihn interessiert nicht die Maus an sich. Er begnügt sich mit der Maus für ihn – oder für seine Küken. Ganz anders wir: Wir wollen den Dingen auf den Grund gehen, sind der Überzeugung, unbedingt erkennen zu müssen, was die Welt im Innersten zusammenhält An genau dieser Frage scheiterte auch Goethes (1749-1832) Faust in gleichnamiger Tragödie. .

Eine Katastrophe kann ich für mich nicht erkennen.
Klar. Ich weiß nicht alles, brauche auch nicht alles zu wissen. Alles Wesentliche ist aufgeschrieben in einem dicken Buch. Was da drin steht, ist manchmal schwer zu verstehen. Es gibt Leute, die uns das erklären.

So ganz richtig befriedigt das nicht – heute jedenfalls immer weniger. Woher kann ich wissen, dass im dicken Buch die Wahrheit steht? Und was befähigt und berechtigt diese Leute den Text zu interpretieren?

Ich wollte durch diese Formulierung ganz bewusst deinen Protest provozieren. Du hast mich schon ganz genau verstanden. Ich erkläre es dir gern trotzdem: Das dicke Buch ist natürlich die Bibel, die Heilige Schrift. Und weil sie heilig ist, ist sie und nur sie die Wahrheit. Und bei diesen Leuten handelt es sich um Priester. Sie sind von Gott dazu bestimmt, uns zu sagen, was wir glauben sollen.

… und über diese ewigen Wahrheiten auch nur nachzudenken, ist eine schwere Sünde, nicht wahr?

Na ja …

Ich bitte dich sehr, mein lieber Gottlieb, lass uns gemeinsam diese vermeintliche Sünde begehen. Ansonsten müssten wir unser Gespräch hier abbrechen. Zu welchem Zweck wären wir mit Intellekt ausgestattet, wenn seine Nutzung verboten wäre?

Ausgerechnet du argumentierst vom Zweck der Schöpfung her?

Wir lachen beide.

Ertappt! Ich selbst bin weit davon entfernt, einen göttlichen Plan oder Ähnliches zu unterstellen. Ich wollte Teleologie Teleologie unterstellt, dass Handlungen und Entwicklungsprozesse durchgängig zielorientiert ablaufen. Die Idee der Schöpfung nach Gottes Plan ist ein Beispiel für einen teleologischen Denkansatz. als absurd entlarven.

Nun gut. Begehen wir also gemeinsam die Sünde des Nachdenkens. Ich habe ja auch nicht behauptet, dass Denken Sünde ist. Das warst du.

Einverstanden. Ich möchte den Faden wieder aufnehmen, indem ich behaupte: Glauben ist weniger als nicht wissen.

Schon wieder ein Spruch über Wissen – kurz, prägnant und paradox.

Nein, das ist keineswegs paradox. Gemeint ist, dass Glauben annimmt, befriedigende Antworten gefunden zu haben, am Ende des Denkens angekommen zu sein, dass er nicht weiter fragt.
Nicht wissen bedeutet, unbefriedigt von vorgegebenen Meinungen zu sein. Wer nicht weiß, beginnt erst zu fragen, zu denken.

Ja. Der wirklich Gläubige hat die Gewissheit, in Gott die Wahrheit gefunden zu haben. Der Ungläubige ist da noch nicht angekommen. Manche von denen werden dieses Ziel nicht erreichen. Sie sind sogar davon überzeugt, es nie erreichen zu können, da angeblich kein Ding an sich erkennbar ist.
Du wirst zugeben müssen, dass deine Behauptung genau falsch ist. Glauben ist unendlich viel mehr als nicht wissen.

Weil der Nichtwisser, der Suchende sich irren kann, was beim Gläubigen ausgeschlossen ist? Habe ich dich da richtig verstanden?

Genau so ist es. Die Wahrheit gefunden zu haben ist doch selbstverständlich mehr, als sie zu suchen und Gewissheit ist mehr als Zweifel, oder?

Ich gebe dir insofern recht, als dass der Wissen-Suchende, der Wissenschaftler also, genau genommen gar keine Gewissheiten schafft. Er stellt lediglich Thesen auf. Diese Thesen können falsch sein, dessen ist sich der Wissenschaftler voll bewusst. Mehr noch: Er formuliert die Thesen bewusst so, dass sie als falsch erkannt werden können. Der Philosoph Popper Karl Popper (1902 - 1994) war ein österreichisch-britischer Philosoph, der sich bahnbrechend mit der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie auseinandersetzte. Er begründete den Kritischen Rationalismus – richtungsweisend für jeden ernsthaften Naturwissenschaftler. forderte nachdrücklich diese Falsifizierbarkeit.

Gottlieb ist höchst irritiert.

Das ist mehr als merkwürdig. Du willst sagen, dass Wissenschaftler scharf darauf sind, widerlegt zu werden? Sind die alle irgendwie masochistisch veranlagt?

Nein, ganz so ist das nicht. Selbstverständlich sind Wissenschaftler scharf darauf, qualitativ hochwertige Thesen aufzustellen. Ein Qualitätsmerkmal ist etwa, dass sie keiner anderen akzeptierten These widerspricht oder sie auch nur einschränkt.

Was denn nun? Er will also doch recht behalten. Und trotzdem formuliert er seine Thesen so, dass als falsch erkannt werden?

… als falsch erkannt werden können. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Ja: er formuliert seine Thesen so, dass sie falsifizierbar sind.

Warum?

Weil Falsifizierbarkeit ebenfalls ein wichtiges Qualitätsmerkmal für eine These ist.

Und warum das? Du sprichst in Rätseln.

Ich versuche, das an einem Beispiel deutlich zu machen. Wie wir beobachten können, geht die Sonne jeden Morgen aus der gleichen Richtung auf, nämlich im Osten, und wandert durch den Himmel in Richtung Westen, wo sie dann untergeht.

Das ist keine These, sondern eine Beobachtung.

Richtig. Und aus dieser Beobachtung kann man Schlüsse ziehen, die dann erklären, warum das so ist. Man stellt also eine These auf.
Eine solche These ist: Die Sonne kreist um die Erde.
Eine andere These ist: Skinfaxi, das Pferd des germanischen Gottes Dag, zieht den Sonnenwagen über das Firmament, während das Pferd Hrímfaxi nachts den Wagen der Mutter des Dag, sie heißt Nótt, zieht.

Abenteuerliche Vorstellung.

Das haben Mythen so an sich. Diese Pferdegeschichte ist aber nicht nur abenteuerlich, sondern sie kann auch nicht falsifiziert werden. Götter lassen sich nämlich weder nachweisen noch lässt sich deren Existenz widerlegen. Da unterscheiden sich Dag und Nótt nicht vom Gott der Christen.

Hm … ja … das ist wohl so.

Nun zur ersten These. Sie ist, wie schon Galileo Galileo Galilei (1564 - 1641) war ein italienischer Universalgelehrter. Er behauptete, dass die Erde um die Sonne kreise und nicht andersherum. Diese Behauptung wurde von der Kirche als ketzerisch gebrandmarkt und im Fall Galileo mit Hausarrest bestraft. (Tausende andere Ketzer landeten auf dem Scheiterhaufen.)
Erst 1992 bequemte sich die Päpstliche Akademie der Wissenschaften zuzugeben, dass Galileo im Recht ist.
wusste, falsch. Sogar die zugrunde liegende Beobachtung ist falsch: Keineswegs geht die Sonne jeden Tag in genau der gleichen Richtung auf. Galileo vertrat die These, dass die Erde um die Sonne kreist. Diese These ist anhand von Beobachtungen, Messungen, Berechnungen überprüfbar. Freilich ist auch sie falsifizierbar, was bisher aber nicht geschehen ist.

Ich verstehe. Erst durch das Falsifizieren des geozentrischen geozentrisch: Die Erde steht im Zentrum und wird von der Sonne umkreist.
heliozentrisch: Die Sonne steht im Zentrum und wird von der Erde umkreist.
Weltbildes konnte sich das heliozentrische entwickeln.

So ist es. Falsifizierbarkeit ist der Motor der Erkenntnis. Das macht sie so wertvoll. Anders herum: Nicht-Falsifizierbarkeit, etwa dogmatische Glaubenssätze, bremsen Erkenntnis bis zum Stillstand.

Es gibt übrigens noch weitere Qualitätsmerkmale für Theorien. Eines hast du selbst eben angewandt, nämlich Ockhams Wilhelm von Ockham (1288 - 1347) war ein mittelalterlicher Philosoph, Theologe und kirchenpolitischer Schriftsteller. Rasiermesser.

Ach. Das war mir nicht bewusst – vor allem deswegen nicht, weil ich nicht weiß, was dieses Instrument sein soll.

Dieses Instrument – die Bezeichnung gefällt mir – eignet sich hervorragend, um Thesen bei begrenztem Wissen zu bewerten.
Ockham forderte Sparsamkeit. Damit meinte er, dass von mehreren Erklärungen die einfachste vorzuziehen ist. Einfach ist, wenn sie möglichst wenige Variablen und Hypothesen enthält und wenn diese in klaren logischen Beziehungen zueinander stehen.

Allerdings. Die nordische Pferdegeschichte ist in Ockhams Sinne weder sparsam, noch einfach, noch logisch. Sie wirft mehr Fragen auf als sie beantwortet. Abenteuerlich eben.
Trotzdem zweifle ich an dem Instrument: Wer sagt, dass alle guten Theorien einfach sind? Einsteins Relativitätstheorie ist sicher nicht schlecht und noch sicherer kompliziert. Ist sie also abzurasieren?

Natürlich nicht. Tatsächlich ist die Welt komplex. Hinsichtlich Raum und Zeit gibt es keine einfachen Thesen. Von all den denkbaren ist die Relativitätstheorie die einfachste und deswegen vorzuziehen – bis sie falsifiziert wird, freilich.

Nun gut. Um das Thema Erkenntnistheorie auf den Punkt zu bringen: Du bist der Meinung, Religion erfüllt wissenschaftliche Qualitätskriterien nicht.

Allerdings. In keiner Weise.

Das mag so sein. Ich bin aber der Meinung, dass Religion anhand dieser Kriterien nicht bewertbar ist. Religiöse Glaubensinhalte stehen jenseits wissenschaftlicher Erkenntnis. So ist die Aussage Ich bin der Herr, dein Gott keine These, die zu falsifizieren wäre.

In der Tat. Das ist eher eine Definition als eine These – und Definitionen sind prinzipiell nicht falsifizierbar.

Wieso?

Betrachte die Aussage Schwäne sind weiß. Wenn dieser Satz als eine These verstanden wird, so wird diese durch die Beobachtung nur eines schwarzen Schwans falsifiziert. Ist diese Aussage aber eine Definition, so ist ein schwarzes Tier, das einem Schwan sonst in allem gleich ist, eben definitionsgemäß kein Schwan.

So gesehen ist das wohl richtig – wenn auch diese Definition unsinnig ist.

Zugegeben.

Stimmst du mir auch darin zu, dass die genannten Qualitätskriterien nicht anzuwenden sind?

Keineswegs. Was soll denn bitte nicht anzuwenden bedeuten? Das klingt ja fast wie ein Verbot. Ich kann ja sehr gut verstehen, dass Religiösen diese Anwendung nicht passt. Mir passt dagegen nicht, wenn jemand versucht, mir vorzuschreiben, welche Bewertungskriterien ich anzuwenden habe – zumal ich sehr gute Gründe habe.

Pardon. Selbstverständlich bist du frei in der Wahl deiner Bewertungskriterien. Selbstverständlich schreibt dir da niemand etwas vor. Deine gesteigerte Empfindlichkeit ist aber logischerweise keine Begründung für die Anwendbarkeit dieser Qualitätskriterien auf Religion.

Gesteigerte Empfindlichkeit – mag schon sein. Sie erklärt sich aus dem Verhältnis insbesondere der abrahamitischen Religionen Mit abrahamitischen Religionen sind Judentum, Christentum und Islam. Sie alle beziehen sich auf Abraham, den Erzvater, aus dem die 12 Stämme Israels hervorgegangen sein sollen. Außerhalb der biblischen Erzählungen ist die Existenz Abrahams nicht belegt – und dort finden sich widersprüchliche Angaben. zu Kritik. So lange ist es nicht her, dass die letzten Scheiterhaufen erloschen sind. Muslimische Religioten morden auch heute noch, wenn es jemand wagt, vom muslimischen Glauben abzufallen. – Übrigens in voller Übereinstimmung mit mehreren Hadithen Hadithe sind die Überlieferungen der Aussprüche und Handlungen Mohammeds, die er selbst getätigt oder gebilligt haben soll. Denen entsprechend wird auch heute noch in mehreren islamischen Staaten die Todesstrafe bei Apostasie (Abfall vom Glauben) vollzogen. .

Der Begriff Religioten ist polemisch, Adrian, und nicht alle Muslims sind derartig verbohrt.

Stimmt: Religioten ist nicht nett. Habe ich auch nicht nett gemeint. Setze dafür Verbrecher an den Menschenrechten, wenn dir das lieber ist. Und solche Verbrecher habe ich gemeint, keineswegs alle Muslims. Diese Verbrecher finden wir heute nicht nur beim Islamischen Staat, sondern auch in den Gerichten von mehreren islamischen Staaten Apostasie (= Abfall vom Glauben) wird in folgenden Staaten mit dem Tode bestraft:
 • Sudan
 • Iran
 • Saudi-Arabien
 • Katar
 • Pakistan
 • Afghanistan
 • Somalia
 • Mauretanien
Atheisten müssen in folgenden Staaten mit dem Tode rechnen:
 • Malaysia
 • Nigeria
 • Vereinigte Arabische Emirate
 • Malediven
All diese Staaten sind muslimisch.
. Ich meine, dass diesbezüglich Relativierungen absolut unangemessen sind und werde diese Verbrecher weiter als Religioten bezeichnen.

Ich kann nicht umhin, das zu akzeptieren. Diese Verbrecher sind tatsächlich Religioten.
Aber zurück zum Thema Anwendbarkeit wissenschaftlicher Qualitätskriterien auf religiöse Aussagen: Du sagtest, du habest sehr gute Gründe dafür, auf diese Kriterien in diesem Zusammenhang zu bestehen. Über diese Gründe wüsste ich gern mehr.

Gut, dass du mich wieder auf den Teppich zurückbringst. Die Verbrechen dieser Religioten bringen mich regelmäßig auf die Palme.
In der Tat: Religiöse Aussagen sind nach strengen Kriterien zu prüfen.

Warum?

Einerseits machen Religionen Festlegungen, die das Leben der Menschen zentral betreffen, nicht wahr?

Natürlich – das ist ihre Aufgabe.

Eben. Derartig wichtige Festlegungen sind selbstverständlich genauestens zu prüfen. Immerhin geht es um unsere Existenz hier und jetzt – nach religiöser Auffassung auch noch im Jenseits.
Anderseits steht Religion in offener Konkurrenz zu den Naturwissenschaften, nämlich indem sie diesen widerspricht, etwa im Gegensatz Evolution und Schöpfung. Schon aus Gründen der intellektuellen Redlichkeit kann es nicht sein, dass die eine Position kritisch zu prüfen ist, während die Prüfung der anderen als unangemessene Zumutung, als Sakrileg Sakrileg ist wörtlich übersetzt Tempelraub und bezeichnet ein Vergehen gegen Heiliges. Unter Sakrileg fällt zum Beispiel die Entweihung heiligen Bodens oder heiliger Sachen durch Raub, Schändung oder Missbrauch, aber auch ein Angriff auf geweihte Personen. Wird ein Sakrileg begangen, wird das oft auch als Blasphemie oder Gotteslästerung bezeichnet. strikt zurückgewiesen wird.

Stimmt. Das wäre tatsächlich unfair.
Nun wird kaum jemand die Bibel als naturwissenschaftliches Lehrbuch ansehen wollen.

Wäre es doch so! Bitte vergegenwärtige dir die Kreationisten Kreationisten nehmen den biblischen Schöpfungsmythos wörtlich und verlangen, dass das auch so den Kindern in den Schulen gelehrt wird. – Wohl gemerkt: nicht als Mythos, sondern als unumstößlich erwiesene Tatsache. , die ja vor allem in den USA noch erhebliches Gewicht haben.

Leider stimmt das. Viele Amerikaner sind in ihren Überzeugungen bisweilen seltsam. Bleiben wir aber in Europa und beim hiesigen Verständnis der Heiligen Schrift – eben nicht als naturwissenschaftliches Lehrbuch.

Sondern?

Die Bibel, die christliche Religion beschreiben transzendente Wahrheiten.

Ich schenke uns noch ein Glas ein.

Nehmen wir wider besseres Wissen zunächst mal an, das wäre so. Wenn es in der Religion tatsächlich nur um Transzendenz ginge, also um Dinge, die jenseits möglicher Erfahrung, der normalen Sinneswahrnehmung liegen, so hätte sie einen rein spekulativen Charakter, was meines Erachtens auch zutrifft. Dann würde ich Religion als mehr oder weniger interessante aber letztlich irrelevante Anekdote aus dem riesigen Fundus menschlicher Hirngespinste abtun.
Dem ist aber nicht so. Religion leitet aus jener ach so transzendenten Wahrheit durchaus weitreichende Konsequenzen für unsere immanente, also wahrnehmbare und uns tatsächlich betreffende Welt ab.

Das ist natürlich richtig.

Oh nein! Das ist keineswegs natürlich und schon gar nicht richtig. Natur ist das, was die Naturwissenschaft beschreibt, also das, was wahrgenommen werden kann.

Nein. Natur geht viel weiter, als das, was die Naturwissenschaft begreift, je begreifen kann. Wie ich schon sagte: Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde …

Zugegeben – wobei wir immer wieder davon überrascht werden, was die Naturwissenschaft alles begreifen kann. Das wird sich nicht ändern.
Wenn nun die sogenannten transzendenten Wahrheiten unseren Sinnen, unserer Erkenntnis unerreichbar sind – wie sollen sie dann Relevanz für uns haben?

Weil das nun einmal so ist. Gott hat die Welt geschaffen. Er hat uns seinen Sohn geschickt, um die Welt zu erlösen.

Ich lache.

Weil das nun einmal so ist. – Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dieses basta-Argument akzeptiere. Mit gleichem Recht könnte ich behaupten, das ebenso transzendente Fliegende Spaghetti-Monster Das Fliegende Spaghetti-Monster wird in einer Religionsparodie als Gottheit bezeichnet, die das Universum erschaffen haben soll. Autor ist ein US-Amerikaner, der in der Diskussion um Lehrpläne des Biologieunterrichts im US-Bundesstaat Kansas Partei für die Evolutionstheorie und gegen die kreationistische Pseudowissenschaft Intelligent Design ergriff. habe in seiner nudeligen Güte die Welt geschaffen.
Was Jesus angeht, so habe ich zu diesem Herrn noch einige Anmerkungen. Zunächst so viel: Es erscheint überwiegend wahrscheinlich, dass er als historische Person existiert hat. Erlöser der Welt oder gar göttlich ist er ebenso wenig wie das Unsichtbare rosafarbene Einhorn Das Unsichtbare rosafarbene Einhorn ist wie auch das Fliegende Spaghetti-Monster die Gottheit einer Religionsparodie. .

Diese Albernheiten mit diesen Pseudo-Göttern bringen uns hier doch nicht weiter.

Ich denke schon. Die Parodien zeigen auf, dass Gottheiten beliebig erfunden werden können – und tatsächlich erfunden werden. Einfach so ins Blaue oder Transzendente hinein. Weder der dreifaltige Christengott, egal, ob der katholische oder evangelische, noch Allah, noch Shiva, noch Zeus, noch Wotan existieren außerhalb menschlicher Fantasie. Das Fliegende Spaghettimonster und das Unsichtbare rosafarbene Einhorn existieren noch nicht mal innerhalb ernsthafter Fantasien. Das ist der einzige Unterschied.

Wenn du meinst …
Ich sehe das anders. Tatsache ist doch: Ich kann die Existenz Gottes zwar nicht beweisen; du kannst nicht beweisen, dass er nicht existiert. Damit ist die Wahrscheinlichkeit beider Annahmen ausgeglichen.

Teekanne!

Wie bitte?

Teekanne. Das ist eine geniale Widerlegung deiner Argumentation von Bertrand Russel Bertrand Russel (1872-1970) war ein britischer Philosoph, Mathematiker und Logiker. Er gilt auch eine Leitfigur des Pazifismus.
Sehr intensiv setzte er sich mit der christlichen Religion auseinander. Er erkannte sie als eine Krankheit, die aus Angst entstanden ist. Bekannt ist sein Essay Warum ich kein Christ bin.
1950 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
. Einen Moment bitte. Du solltest das ungekürzt hören.

Ich gehe zum Bücherregal, finde das gesuchte Buch sofort und dank Lesezeichen auch die Textstelle.

Russell schrieb in seinem Werk Is There a God?

Wenn ich behaupten würde, dass es zwischen Erde und Mars eine Teekanne aus Porzellan gäbe, welche auf einer elliptischen Bahn um die Sonne kreise, so würde niemand meine Behauptung widerlegen können, vorausgesetzt, ich würde vorsichtshalber hinzufügen, dass diese Kanne zu klein sei, um selbst von unseren leistungsfähigsten Teleskopen entdeckt werden zu können. Aber wenn ich nun zudem auf dem Standpunkt beharrte, meine unwiderlegbare Behauptung zu bezweifeln sei eine unerträgliche Anmaßung menschlicher Vernunft, dann könnte man zu Recht meinen, ich würde Unsinn erzählen. Wenn jedoch in antiken Büchern die Existenz einer solchen Teekanne bekräftigt würde, dies jeden Sonntag als heilige Wahrheit gelehrt und in die Köpfe der Kinder in der Schule eingeimpft würde, dann würde das Anzweifeln ihrer Existenz zu einem Zeichen von Exzentrik werden. Es würde dem Zweifler in einem aufgeklärten Zeitalter die Aufmerksamkeit eines Psychiaters einbringen oder die eines Inquisitors in früherer Zeit.

Ich finde hier noch was: Richard Dawkins Richard Dawkins (*1941) ist ein britischer Zoologe, theoretischer Biologe, Evolutionsbiologe und Autor wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Literatur. Von 1995 bis 2008 war er Professor der University of Oxford. , du weißt schon: der Verfasser von Gotteswahn, bezog sich hierauf,

Der Grund, weshalb organisierte Religion offene Feindschaft verdient, ist, dass Religion, anders als der Glaube an Russells Teekanne, mächtig, einflussreich und steuerbefreit ist und systematisch an Kinder weitergegeben wird, die zu jung sind, sich dagegen zu wehren. Kinder sind nicht gezwungen, ihre prägenden Jahre damit zu verbringen, verrückte Bücher über Teekannen auswendig zu lernen. Staatlich subventionierte Schulen schließen keine Kinder vom Unterricht aus, deren Eltern das falsche Aussehen der Teekanne bevorzugen. Teekannen-Gläubige steinigen keine Teekannen-Ungläubigen, Teekannen-Renegaten, Teekannen-Ketzer und Teekannen-Lästerer zu Tode. Mütter warnen ihre Söhne nicht davor, Teekannen-Schicksen zu heiraten, deren Eltern an drei Teekannen statt an eine glauben. Leute, die ihre Milch zuerst einschenken, schießen nicht jenen, die den Tee zuerst einschenken, die Kniescheiben weg.

Glaubwürdigkeit hin und her. Ich kann deine Zweifel ja verstehen. Nicht verstehen kann ich Dawkins offene Feindschaft der Religion gegenüber.
Bedenke: In der Religion begründet sich die Moral. Ohne Religion hätten wir die Hölle auf Erden.

Ich stimme deinen beiden letzten Aussagen zu. Zunächst zur zweiten, zur Hölle:
Jesus hatte eine klare Vorstellung von der Hölle. Er formuliert sie in seinem menschenverachtenden Gleichnis vom Unkraut. Moment, ich habe es gleich.

Ich greife zur Bibel, blättere kurz.

Hier, Matthäus 13, Vers 38 folgende:

Der Acker ist die Welt. Der gute Same sind die Kinder des Reichs. Das Unkraut sind die Kinder des Bösen. Der Feind, der es sät, ist der Teufel. Die Ernte ist das Ende der Welt. Die Schnitter sind die Engel. Wie man nun das Unkraut ausjätet und mit Feuer verbrennt, so wird’s auch am Ende der Welt gehen. Der Menschensohn wird seine Engel senden, und sie werden sammeln aus seinem Reich alles, was zum Abfall verführt, und die da Unrecht tun, und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird Heulen und Zähneklappern sein.

Die heutige, sich modern gebende Theologie hat festgestellt, dass mit diesen Schauermärchen nichts mehr zu gewinnen ist. Sie haben sich daher willkürlich folgende Definition ausgedacht:
Hölle bezeichnet keinen Ort, sondern den Zustand endgültiger Gottesferne.
So betrachtet, stimmt deine Aussage: Ohne Religion hätten wir die Hölle auf Erden. – endgültige Gottesferne nämlich.
Vor diese Hölle habe ich nicht die geringste Angst. Mit dem grausamen, eifersüchtigen Ich spiele hier auf das erste Gebot an. Im Religionsunterricht lernt man meist nur die Kurzform: Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Erhellend ist der Volltext:
Ich bin der HERR, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.
Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.
Du sollst dir kein Kultbild machen und keine Gestalt von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.
Du sollst dich nicht vor ihnen niederwerfen und ihnen nicht dienen. Denn ich bin der HERR, dein Gott, ein eifersüchtiger Gott: Ich suche die Schuld der Väter an den Kindern heim, an der dritten und vierten Generation, bei denen, die mich hassen;
doch ich erweise Tausenden meine Huld bei denen, die mich lieben und meine Gebote bewahren.

Info am Rande: Der stalinistische Diktator Nordkoreas, Kim Il-sung, war gütiger als der liebe Gott: Er betrieb die Sippenhaft nicht bis in die vierte, sondern nur bis in die dritte Generation.
Gott will ich nichts zu tun haben. Endgültige, größte Gottesferne ist für mich ein anzustrebendes Ziel, kein Schrecken. Im Gegenteil: Schrecklich ist's, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen., um es mit der Bibel Hebr 10,31 zu sagen.

Du willst mich provozieren – kenne ich ja schon seit Jahren.
Du sagtest, du stimmst auch meinem Satz zu: In der Religion begründet sich die Moral. Das kann ich dir notorischem Ketzer gar nicht glauben.

Ich kann weitere Provokationen nicht vermeiden, mein lieber Gottlieb. Und ich bin dir sehr dankbar, dass du das erträgst. Ich bitte dich, weiterhin so tapfer zu sein.

Ich erhebe mein Glas. Gottlieb lächelt, erwidert die Geste.

Nur zu. Ich ertrage dich auch weiter tapfer – um der Diskussion und vor allem um unserer Freundschaft willen.

Ich gestehe … Nein! Ich erkläre stolz und voller Überzeugung: Ich bin ein unmoralischer, ja, anti-moralischer Mensch.

Gottlieb lacht.

Du versuchst alles, um die Provokation auf die Spitze zu treiben. So aber gelingt dir das nicht. Ich kenne dich und weiß, dass dein Leben von ethischen Prinzipien bestimmt ist.

Danke. Ja. Ethik hat für mich oberste Priorität – nicht aber Moral.

Du sprichst wieder einmal in Rätseln. Moral und Ethik sind Synonyme.

Eben nicht. Vergegenwärtige dir zum Beispiel den Arbeit­skreis Medi­zinis­cher Ethik-​Kommissionen. Setze statt Ethik Moral.

Hm, du hast recht. Medizinische Moral-Kommission klingt irgendwie daneben. Ich kann es gar nicht ohne weiteres benennen, was mich stört. Ich muss darüber nachdenken.

Ich habe schon viel darüber nachgedacht und bin zum Schluss gekommen, dass es äußerst hilfreich ist, die beiden Begriffe, Ethik und Moral, sehr viel schärfer zu trennen, als im allgemeinen Sprachgebrauch üblich. Mir jedenfalls hilft das.

Ich bin gespannt.

Nun, die Basis von Moral sind die Begriffe gut und böse, nicht wahr?

Kann man so sagen, ja. – Und Ethik?

Ethik fragt nicht nach gut und böse, sondern nach fair und unfair.

Kommt das nicht in etwa auf das Gleiche hinaus?

Ganz und gar nicht. Ich gebe dir ein plastisches Beispiel:
Masturbation wurde früher als unmoralisch angesehen. Die abscheuliche Sünde der Selbstbefleckung galt als derartig unmoralisch, dass den Jugendlichen mit entsetzlichen Erkrankungen gedroht wurde, sollten sie sich selbst befriedigen – einmal ganz abgesehen von den Strafen beim jüngsten Gericht.
Da Masturbation nun schlechterdings nicht fair oder unfair sein kann, ist sie weder als ethisch noch als unethisch einzustufen. Daher wird ein Ethiker – im Gegensatz zum Moralisten – auch nicht mit Strafe drohen.

Das Beispiel beschreibt frühere Vorstellungen. Ich glaube aber zu verstehen, worauf du hinaus willst.

Schön. Ich bin aber lange nicht fertig. Lass mich mal Schlagwörter zu beiden Begriffen gegeneinander stellen.
• Dass Moral sich auf gut und böse, Ethik auf fair und unfair bezieht, besprachen wir schon.
• Moral spricht Verbote aus, Ethik appelliert an Einsicht.
• Moral verhängt Strafen, Ethik weist auf Konsequenzen hin.
• Moral verlangt Gehorsam, Ethik Intellekt.
• Moral ist anfällig für Willkür, ethische Gesichtspunkte sind nachvollziehbar.
• Moral ist ein Instrument der Macht, Ethik fördert Selbstbestimmung.
• Moral ist Instrument der Religion, Ethik entspringt der Aufklärung.
• …

Gottlieb unterbricht mich.

Genug, genug! Jeder der Punkte wäre zu hinterfragen, aber ich erkenne das Schema, sehe, worauf du hinaus willst. Und ich verstehe, was du meintest, als du der Aussage In der Religion begründet sich die Moral. so nachdrücklich zustimmtest. Schließlich erklärt sich, warum du dich unmoralisch, sogar antimoralisch nanntest. Du lehnst Moral ab und strebst Ethik an.

Genau so ist es.

Dem entsprechend lehnst du auch die Zehn Gebote ab? Die sind ja religiöse Gesetze, nicht verhandelbar, auf Einsicht hinsichtlich ihrer Verbindlichkeit nicht angewiesen.

So einfach ist das nicht. Natürlich bin ich gegen Lüge, Diebstahl, Töten. Ein moralisches Gebot ist nicht abzulehnen, weil es moralisch ist. Vielmehr sind die Gebote nach Maßgabe der Ethik vorbehaltlos zu prüfen und dem entsprechend zu unterstützen oder abzulehnen.

Du stimmst also den Zehn Geboten zu – nicht, weil sie von Gott kommen, sondern weil sie ethischen Gesichtspunkten entsprechen?

Keineswegs. Das erste Gebot beispielsweise lehne ich strikt ab. Insbesondere in der Langfassung, wo sich der Christen-Gott – verzeih, Gottlieb – als veritabler Kotzbrocken darstellt. Ich suche die Schuld der Väter an den Kindern heim, an der dritten und vierten Generation. Widerlich!
Auch im zweiten Gebot wird seine Rachsucht deutlich: … denn JHWH lässt den nicht ungestraft, der seinen Namen missbraucht.
In den Ausführungsbestimmungen zum dritten Gebot wird wieder einmal der Charakter des lieben Gottes deutlich: Wegen Holzsammeln am Sabbat wird der Täter auf Gottes ausdrücklichen Befehl hin grausam zu Tode gefoltert. 4. Mose 15,35: Der Mann soll des Todes sterben; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen draußen vor dem Lager.
All diese Dinge lehne ich als widerwärtig ab.
Aber auch der Geist der übrigen Gebote ist fragwürdig. Wer kann beispielsweise das Tötungsverbot ernst nehmen? Ich erinnere noch einmal an den Holzsammler. Oder – grausiger noch – die zahlreichen Bibelstellen, in denen das Aufschlitzen Schwangerer und das Zerschmettern von Kindern beschrieben wird – und zwar als gottgefällig. z.B. Hosea 14,1 / 2. Könige 15,16 / Psalm 137,9 / Jesaja 13,16
Dagegen sind die letzten Gebote, in denen Frauen auf eine Stufe mit Sklaven, Vieh und sonstigen Sachgütern gestellt werden, Kavaliersdelikte.
Nein, Gottlieb, ich kann der Moral deines Gottes nichts abgewinnen. Mehr noch: Dein Gott und seine Moral widern mich an. Ich kann das nicht anders formulieren – auch wenn dieser Widerling meinen Urenkeln mit unmenschlichen Strafen für mein Verhalten droht.

Wie immer bei diesem Thema bin ich aufgewühlt. Gottlieb schenkt uns noch mal nach, teilt den Rest der Flasche brüderlich auf.

Du hast ja recht: Es gibt eine Reihe von verstörenden Aspekten in meiner Religion. Trotzdem bleibe ich dabei. Deine Fundamental-Kritik ist gewiss einiger Überlegung wert, die Form dieser Kritik ist allerdings nicht jedem hilfreich.

Ich weiß. Tut mir leid, dass ich bei diesem Thema regelmäßig ausflippe. Statt des Zorns sollte ich mich eher des Humors bedienen, wie mein Lieblings-Philosoph, Schmidt-Salomon Michael Schmidt-Salomon, (*1967) ist freischaffender Philosoph und Schriftsteller, sowie Mitbegründer und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, der viele renommierte Wissenschaftler, Philosophen und Künstler angehören. , das vorzüglich beherrscht. – Moment, ich habe hier ein Zitat von ihm. Damit sollten wir die Diskussion für heute beenden.

Ich wühle meinem Schreibtisch zwischen einem Wust von Papieren.

Da habe ich es:

Christen glauben nicht nur trotz Hitler, Hunger, Haarausfall an die Allgegenwart eines allmächtigen, allgütigen Gottes. Ihr Gott leidet zudem auch noch an einer höchst seltsamen multiplen Persönlichkeitsstörung (Dreifaltigkeit), was sich u. a. darin ausdrückt, dass er nach einem ärgerlichen Streit mit seinen Geschöpfen (Sündenfall) zunächst 99,99 Prozent allen Lebens vernichtet (Sintflut), dann einen Teil seiner selbst (Gottessohn) von einer antiken Besatzungsmacht (den Römern) hinrichten lässt, um mit sich selbst und seiner Schöpfung wieder im Reinen zu sein (Erlösung). Im Andenken an diese hochgradig psychopathologische Erlösungstat feiern die Christen Woche für Woche ein merkwürdiges Ritual, in dem eigens dazu ausgebildete Zeremonienmeister geheimnisvolle Zaubersprüche sprechen. Hierdurch werden profane Teig-Oblaten in den sich anscheinend milliardenfach replizierenden Leib des hingerichteten Erlösers verwandelt, der dann von den Gläubigen sogleich verspeist wird. Der Zweck dieses rituell-kannibalischen Aktes ist ebenso obskur wie der Akt selbst: Angeblich soll er die christlichen Jesu-Leib-Vertilger vor Todsünden und dem Einfluss Luzifers bewahren und verhindern, dass die Gläubigen nach ihrem Tod in dem ewigen Flammenmeer einer imaginären Hölle darben müssen … Ich meine, die in vielerlei Hinsicht intellektuell gefährdete Gattung Homo sapiens hat sicherlich einiges an Unsinn fabriziert, die christliche Erlösungssaga aber setzt dem schier unerschöpflichen Arsenal hominiden Schwachsinns zweifellos die Krone auf.

Am nächsten Morgen ist das Wetter besser. Die gerade aufgehende Sonne scheint auf den abgegessenen Frühstückstisch. Gottlieb lehnt sich seufzend zurück.

Wieder einmal köstlich, mein lieber Adrian. Champagner, Kaffee, frische Brötchen, Kaviar und perfekt gegarte weiche Eier. Es könnte uns nicht besser gehen.
Ich möchte gern auf unser Gespräch gestern zurückkommen. Du hast die Antwort auf die Sinnhaftigkeit der Schöpfung vertagt. Lass uns das Thema jetzt vertiefen.

Sehr gern, mein Lieber. Wie du dir denken kannst, akzeptiere ich die Idee der Schöpfung nicht – nicht zuletzt deswegen, weil ich die Existenz eines Schöpfers negiere. Außerdem widerspreche ich der Unterstellung von Sinnhaftigkeit dieser Welt – sei sie nun geschaffen oder nicht.

Dass du die Schöpfung, wie sie in der Genesis Genesis bezeichnet das 1. Buch Mose, das erste Buch der Bibel also (wie auch das erste Buch des jüdischen Tanach und des samaritanischen Pentateuch). Hier gemeint ist wiederum der erste Teil, der die Schöpfung der Welt in sieben Tagen schildert. beschrieben wird, ablehnst, ist nicht verwunderlich. Wie ich schon sagte: Niemand hält die Bibel für ein naturwissenschaftliches Lehrbuch – abgesehen von den spinnerten Kreationisten, auf die du ja schon hingewiesen hast. Dein Credo Credo ist Latein und bedeutet ich glaube. Hauptsächlich wird die Bezeichnung für das christliche Glaubensbekenntnis genutzt. Ganz gelegentlich verwendet man das Wort bildungssprachlich auch einfach für Überzeugung. ist die Evolution.

Ich lache.

Du willst mich provozieren, mein Lieber. Und um dir eine Freude zu machen, gehe ich darauf ein. Richtig ist, dass ich Evolution für die überzeugendste Theorie halte, um die Vielfalt der Lebenserscheinungen zu erklären. Darauf willst du mit deiner listigen Verwendung des Begriffs Credo aber gar nicht hinaus. Du vermischst zwei Bedeutungen des Begriffs Glaube. Es ist ein großer Unterschied, ob ich glaube, dass morgen die Sonne aufgeht, und das auf mein Verständnis von der Planetenbewegung gründe oder ich den Sonnenaufgang mit den Machenschaften von Skinfaxi und Hrímfaxi erkläre.

Ich erinnere mich. Du sprachst gestern bereits von diesen germanischen Götterpferden. Wo genau siehst du den Unterschied?

Die deutsche Sprache differenziert mit dem Begriff Glauben nicht, das Englische mit den Begriffen faith und belief etwas eher. Es ist, ich wiederhole mich, ein großer, ein riesiger Unterschied, ob ich meinen Glauben naturwissenschaftlich oder religiös, also übernatürlich fundiere. Dieser Unterschied wird von Gläubigen häufig verwischt, um zu unterstellen, dass Atheisten im Grunde auch gläubig sind, nämlich an Naturwissenschaft glauben. Das ist falsch und bleibt falsch – auch wenn du vornehm den Begriff Credo nutzt.

Jetzt lacht auch Gottlieb.

Touché! In der Tat hatte ich Ähnliches im Sinn.

Ich habe allerdings mit meinem Wunsch, das Thema Sinnhaftigkeit der Schöpfung wieder aufzugreifen, einen weiteren Hintergedanken. Er bezieht sich nicht auf das Thema Schöpfung, sondern auf Sinn.

Oha! Jetzt gehst du aber ans Eingemachte. Du stellst die ziemlich alte aber nie langweilige Frage nach dem Sinn des Lebens.

Ziemlich alt? Ich möchte doch wohl annehmen: sehr alt.

Das kommt darauf an, wie du sehr alt definierst. Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist eine ausschließlich menschliche Leidenschaft und damit sogar relativ jung – im Maßstab der Evolution gemessen.

Nun gut. Aus diesem Blickwinkel stimmt das.
Zurück zum Thema, zum Sinn. Deine Gedanken dazu interessieren mich sehr. Für uns Christen ist die Frage zweifelsfrei geklärt: Unsere Bestimmung ist das ewige Leben in größtmöglicher Nähe zu Gott. Worin aber seht ihr Atheisten Sinn?

Ja, ich kann mir vorstellen, dass für viele Religiöse ein Dasein ohne Gott sinnlos erscheinen muss. Wie wir immer wieder feststellen müssen, erscheint einem kleinen Anteil der Religiösen das Leben Gottloser nicht nur sinnlos, sondern sogar verachtenswert, unwert, vernichtenswert.

Ich kann natürlich nicht für alle Atheisten sprechen, sondern nur für mich. Wir Atheisten – ich mag den Begriff nicht sonderlich – wir Atheisten haben da sehr unterschiedliche Auffassungen. Ich denke, die Varianz ist bei uns stärker ausgeprägt als bei Gläubigen.
Zu mir also: Ich meine, dass es keinen absoluten, gottgegebenen Sinn des Lebens gibt. Es gibt keinen Gott und es gibt keinen Sinn an sich, um das Kant-Zitat in Abwandlung zu bemühen.

Das ist erschreckend. Es gibt für dich keinen Sinn? Du empfindest dein Leben als sinnlos?

Beruhige dich, Gottlieb. Ich leugne einen absoluten, gottgegebenen Sinn also einen Sinn an sich. Sehr wohl aber gibt es für mich einen Sinn für mich. Dieser aber ist mir nicht etwa gegeben. Ich muss ihn für mich erschaffen, ein jeder muss das im Laufe seines Lebens, denke ich.

… es sei denn, er wird doch gegeben, wie das bei uns Christen der Fall ist.

Ganz so sehe ich das nicht. Sicherlich: Kindern christlicher Eltern wird deren Religion oktroyiert und damit auch die spezielle Sinngebung.

Der Begriff oktroyiert gefällt mir nicht. Es ist doch selbstverständlich, dass Eltern ihre Kinder in ihrem Sinne erziehen. Das hat nichts mit Aufzwingen zu tun.

Das sehe ich wiederum anders. Kinder sind zunächst mal Kinder, keine Christen oder Muslims, keine Sozialdemokraten oder Reichsbürger, keine Anhänger irgend einer Ideologie. Ohne Frage: die Eltern beeinflussen das Weltbild der Kinder. Zwangsläufig. Man kann Kinder aber sehr wohl zu kritischen Menschen erziehen, ohne sie in ein ideologisches Konzept zu pressen, sei es nun religiös, politisch oder sonst wie geprägt.
Wie auch immer. Hoffentlich werden Kinder irgendwann erwachsen, lösen sich von Bevormundung und finden zu sich selbst. So auch du, Gottlieb. Du wirst doch nicht behaupten, dass du noch dem gleichen infantilen Glauben anhängst wie als Sechsjähriger.

Allerdings. Das ist so. Gläubig sein bedeutet, sich immer wieder für den Glauben zu entscheiden und dabei tiefer in die Geheimnisse einzudringen.

Der alte Mann mit Bart auf der Wolke wandelt sich zum transzendenten Wesen, meinst du das?

Ja, in etwa.

Und indem sich die Gottesvorstellung ändert, ändern sich doch auch die Vorgaben für Sinn.

Das bleibt nicht aus.

Unsere Auffassungen liegen gar nicht so weit auseinander. Im Laufe deiner Entwicklung bemühst du dich um eine immer differenziertere Einstellung zu deiner Religion, zu Gott und damit auch zum Sinn deines Lebens.

… einem Sinn, der mir von Gott gegeben ist, ja.

… von einem wandelbaren Gott. Der, den du dir als Sechsjähriger vorstelltest, hat mit dem, den du als Sechzigjähriger siehst, nicht viel zu tun.

Nein. So nicht. Gott ist von Ewigkeit zu Ewigkeit der eine, einzige. Lediglich mein Bild von ihm wandelt sich, wird täglich von mir im Gebet neu erarbeitet.

Dieser ewige Gott allerdings kann für dich nicht relevant sein, da du ihn ja nicht erkennst, nicht erkennen kannst. Er wäre, um bei Kant zu bleiben, Gott an sich. Du kannst dich aber nur an deinem Bild von ihm orientieren, am Gott für dich. Und der vermittelt dir Sinn für dich.
Es ist schon merkwürdig: Wie kann es sein, dass Gott sich nicht eindeutig zu erkennen gibt? Es gibt schon bei Christen so viele Gottesvorstellungen – vom alten Mann mit weißem Bart bis zum transzendentalen Wesen, vom allgütigen Vater bis zum kindermordenden Scheusal und so weiter. Und dann gibt es noch unzählige andere Religionen, jede wiederum mit multiplen Gottesvorstellungen. Warum spielt Gott mit der Krone der Schöpfung, seinem Ebenbild Verstecken? Es wäre doch ein Leichtes für ihn, eindeutig zu sein.
Diese Merkwürdigkeit erinnert mich sehr an das Problem der Theodizee Theodizee behandelt die Frage, wie es sein kann, dass ein gütiger, allwissender und allmächtiger Gott Böses zulässt. Dieses Problem ist so alt wie die Religion. Es gibt unzählige Lösungsversuche. Nicht einer kann überzeugen. .

Nun ja – ich würde nie behaupten, dass mein Glaube ein einfacher ist.
Wir sind vom Thema Sinn abgekommen. Noch immer möchte ich wissen, wie du Sinn für dich umreißen würdest.

Das ist ebenfalls nicht einfach. Ich will es so versuchen: Sinn für mich bedeutet, mein Leben so zu gestalten, dass die Welt eine bessere ist als sie es ohne mich wäre.

Gottlieb lacht.

Adrian, der Weltverbesserer. Gestern bezweifelte ich deine Bescheidenheit. Heute nehme ich dir diesen Größenwahn nicht ab.

Jetzt lache auch ich.

Ich bin weder übertrieben bescheiden noch größenwahnsinnig, denke ich mal. Natürlich kann ich nur winzige Beiträge liefern, um in meinem engen Radius kleine Änderungen zu bewirken. So geht es auch dir, so geht es den allermeisten Menschen. Das aber, die Größe des Wirkungsradius und die Wirkungseffizienz, ist nicht erstrangig. In erster Linie ist die Ausrichtung meiner Wirkung, meine Intention Diese Auffassung vertritt auch der Buddhismus: Gutes oder schlechtes Karma ergibt sich nach dieser Lehre nicht aus den entsprechenden Taten, sondern aus den Tatabsichten, den Intentionen also. entscheidend.
Es darum, mich selbst zu bessern – nicht im Sinne einer vorgegebenen Moral, sondern im Sinne einer selbst verantworteten Ethik. Wenn viele dieses Ziel verfolgten, jeder in seinem begrenzten Radius, ergäbe sich eine große Änderung.
Ich selbst bin Bestandteil der Welt, stehe im Zentrum meines Wirkungskreises. Zur Weltverbesserung gehört deswegen fraglos auch, dass ich mir mein Leben so angenehm wie möglich mache und es entsprechend genieße.

Gottlieb schenkt uns den letzten Champagner ein.

Ethisch fundierter Hedonismus Hedonismus ist eine auf Lust und Freude ausgerichtete Lebenseinstellung. . Dem kann und will ich nicht widersprechen. Darauf lass uns anstoßen!

Ein gutes Jahr später, Ende Januar 2022. Gottlieb und ich haben uns zu einem Gespräch über aktuelle Themen zusammengefunden, wieder in meinem Studierzimmer, wieder mit einem gehaltvollen Primitivo.

Lass uns gleich zum Thema kommen, Adrian. Wie beurteilst du die Affäre um Papst Benedikt und Pfarrer Peter H.?

Du meinst die beiden Verbrecher Joseph Ratzinger und Peter Hullermann Peter Hullermann, *05.10.1947 in Gelsenkirchen, ist ein pädokrimineller Pfaffe, dessen Verbrechen durch seinen Komplizen, Joseph Aloisius Ratzinger, *16.04,1927 in Marktl, späterer Künstlername: Benedictus PP. XVI, durch Vertuschung gedeckt wurden. Durch diese Vertuschung bahnte Ratzinger wissentlich weitere pädokriminelle Verbrechen des Hullermann und damit unermessliches Leid für die Opfer.
Näheres zu Hullermann ist im englischsprachigen Wikipedia zu finden.
? Du kannst dir doch denken, dass ich keine sonderlich hohe Meinung von diesen Typen habe.

Du schießt wieder einmal über das Ziel hinaus, Adrian. Sicherlich ist Hullermann ein pädophiler Straftäter. Er wurde ja auch bereits verurteilt. Den emeritierten Papst einen Verbrecher zu nennen, geht gar nicht.

Zuerst eine dringende Bitte: Streiche die Vokabel pädophil aus deinem Wortschatz. Der Begriff setzt sich zusammen aus den altgriechischen Vokabeln παῖς, paîs, Knabe, Kind und φιλία, philía, Freundschaft.
Angemessen ist der Begriff pädokriminell.

Selbstverständlich. Vielen Dank, Adrian! Bei Kenntnis der Wortwurzeln entpuppt sich Pädophilie als Rechtfertigungspropaganda Pädokrimineller.

Sehe ich genau so.

Jetzt lass uns untersuchen, was bei Berücksichtigung der erwiesenen Fakten gegen Ratzingers Schuld spricht.

Diese Fakten ergeben sich aus einem Gutachten von 1.800 Seiten, das die Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl im Auftrag der Erzdiözese München und Freising verfasst hat. Alle Experten sind sich einig: Das Gutachten ist über jeden Zweifel erhaben.

Es ist denkbar, dass Ratzinger schon 1980, also mit 53 Jahren, unter einer Alzheimer-Demenz litt. Das wäre allerdings 10 Jahre früher, als der übliche Ausbruch der Krankheit. 25 Jahre später, zum Zeitpunkt seiner Wahl zum Papst, wäre die Erkrankung dann weit fortgeschritten gewesen. Ein interessanter Aspekt hinsichtlich der Unfehlbarkeit dieser Herrschaften.

Nehmen wir an, er sei erst in den letzten Jahren dement geworden, etwa als Ursache seiner Emeritation 2013. Dann hätte er sich schuldig gemacht an der Ermöglichung weiterer pädokriminellen Verbrechen des Hullermann.

Schließlich ist zu erwägen, dass Herr Ratzinger gar nicht von einer Demenz betroffen ist. Dann wäre er auch für sein jetziges Verhalten verantwortlich: Vertuschen, wo es nur geht. Er gibt nur zu, was ohnehin hieb- und stichfest bewiesen ist, also jetzt seine vorher wiederholt geleugnete Teilnahme an einer Sitzung 1980, in der die Verbrechen des Hullermann thematisiert wurden. Wohlgemerkt: Er gab nur die Teilnahme zu, nicht etwa seine Kenntnis von der erwiesenen Pädokriminalität des Hullermann, also der Komplizenschaft mit ihm. Nicht ein Wort des Bedauerns oder gar ein Schuldeingeständnis gegenüber den vielen Opfern kam ihm über die Lippen.

Wenn wir die erste Option, nämlich die Schuldunfähigkeit durch verfrühte Demenz ausschließen, bleibt nur der Schluss, dass Ratzinger ein Verbrecher ist. Und die Kirche, die derartige Verbrechen nach Kräften unterstützt, macht sich ebenso schuldig.

Gern würde ich Papst und Kirche verteidigen. Ich sehe keine Option.

Ich sehe doch noch eine Option, für verminderte Schuld zu plädieren. Man könnte anführen, dass Ratzinger sich keines Vergehens bewusst war und ist. Schließlich gehört Pädokriminalität zum Alltagsgeschäft der Kirchen Jawohl: Kirchen! Das Gutachten betraf explizit die katholische Kirche. Die anderen Varianten des organisierten Wahns sind also gar nicht Thema der Untersuchung. Dass es aber auch dort Missbrauch gegeben hat und auch noch gibt, ist unstrittig. – insbesondere, wenn man die enorme Dunkelziffer einbezieht. Auch der Umgang mit diesen Alltäglichkeiten ist ja nach wie vor Alltagsgeschäft: Vertuschen, wo immer möglich, also Täter schützen, Opfer mundtot machen. Ratzinger hätte dann gemäß der schon immer existierenden Kirchenpraxis gehandelt, den Fall abgehakt und vergessen. Schuldig im Sinne des praktizierten Kirchenrechts wäre er nicht geworden. Eine gesonderte Frage ist, inwieweit Religiosität als eine Form der Geistesstörung zu betrachten ist.
Der Psychiater Karl Jaspers (1883-1969) definierte Wahn mittels dreier Merkmale:
1. subjektive Gewissheit,
2. Unkorrigierbarkeit durch Erfahrung und zwingende Schlüsse,
3. Unmöglichkeit des Inhalts.
Diese drei Kriterien treffen 1 zu 1 auch auf Religion zu.
Und das weltliche Recht oder gar fundierte Ethik tangieren in aller Regel weder die Pädokriminellen noch deren Komplizen.

Du bist zynisch, Adrian.

Zugegeben: Die Unterstellung, dass kollektive Verbrechen Einzelverbrechen relativieren, ist völlig abwegig und damit eine zynische Entgleisung meinerseits. Andererseits bin ich gar nicht in der Lage, das fortgesetzte kriminelle Verhalten anders zu kommentieren.